Heute setze ich mich mal dran, meine Flüge der letzten Monate "auszugleichen"... Also auszurechnen, wieviel CO2 ich anteilig mit meinen Reisen in die Atmosphäre geblasen habe.
Dafür kann ich dann als Ausgleich Emissionszertifikate erwerben, als Bestätigung, dass anderswo die entsprechende Menge CO2 eingespart wird.
Ich kann gewissermaßen einen Ablass für meine Flugsünden kaufen (fragt sich nur, welche Kathedrale mit dem Geld errichtet wird und welche Umwälzungen sich aus dem Protest gegen diesen modernen Ablasshandel sich ergeben - wenn sich denn die Geschichte wiederholt und es Protest gibt).
Aber jetzt noch einmal ganz langsam...
Ich gebe also meine Reisen in und lasse mir dann addieren, wieviel CO2 ich anteilig mit meinen Flügen freigesetzt habe.
Dafür nehme ich meine Liste mit Flügen zur Hand und gebe Start- und Zielorte in den Emissionsrechner bei Atmosfair ein
San Francisco-Frankfurt
Hamburg-Riga
Riga-Frankfurt
Frankfurt-San Francisco
San Francisco-Fort Lauderdale
New York-Düsseldorf
und fühle mich erstmal ein bisschen schlecht, dass ich überhaupt soviel durch die Welt geflogen bin in einem Jahr...
Als ich meinen ersten Flug eingebe, informiert mich der Rechner darüber, dass der einfache Flug von San Francisco nach Frankfurt bereits das klimaverträgliche Jahresbudget übersteigt und mehr als dreimal so viel CO2 verursacht als ein indischer Mensch (was auch immer das sein mag "der indische Mensch" an sich - Durchschnittsverbrauch vielleicht?). Oder ich könnte einen (Durchschnitts?)Kühlschrank mit durchschnittlichem Strommix 32 Jahre lang laufen lassen.
Ich fühle mich gleich noch ein bisschen schlechter.
Aber ich finde es auch gut, diesen abstrakten CO2-Wert mit dem Energieverbrauch aus anderen Bereichen zu vergleichen, es wird doch noch einmal viel deutlicher, wie immens viel Energie das Fliegen benötigt und welche Emissionen es verursacht.
Nachdem ich meine ganze Liste eingegeben habe, stehen 11330 kg CO2 auf meiner Rechnung, die ich für 267,- Euro, die Atmosfair für mich in Klimaschutzprojekte investieren würde, ausgleichen kann.
Das kommt mir ganz schön günstig vor... im Vergleich zu den Flügen und dafür, dass ich insgesamt im letzten Jahr mindestens fünfmal mehr CO2 emittiert habe als mir klimaverträglicherweise zustehen würde.
Danach gebe ich die gleiche Liste aus Neugier noch bei Arktik, einem anderen Anbieter für Flugausgleiche, ein, das heißt, ich versuche es...
Der Arktik-Rechner kennt keinen Flughafen in Riga, weder mit dem Namen der Stadt, noch dem Flughafencode RIX. Hm, merkwürdig, ich nehme schließlich stattdessen Dublin, das über den Daumen gepeilt ähnlich weit von Hamburg und Frankfurt entfernt ist wie Riga.
Interessanterweise kommt dieser Rechner nur auf 7784,12 kg und würde mir für 163,47 € Klima-Absolution erteilen.
Das wundert mich nun schon ein bisschen, nachdem ich eben gelernt habe, dass allein die Differenz - mehr als 3500 kg CO2 - den Jahresemissionen von 3,94 Durchschnittsindern entspricht (an Dublin statt Riga liegt es nicht).
Gründe für diesen Unterschied finde ich zwei Klicks weiter, Arktik zählt auf, wieviele unterschiedliche Parameter der Emissionsrechner berücksichtigt und Atmosfair verweist auf 23 Seiten Hintergrundpapier zum Thema... da verlässt mich der Elan.
Aber natürlich will ich es doch noch ein bisschen genauer wissen und versacke für zwei Tage im Internet... mit der Folge totaler Verwirrung über die Abgründe des Emissionshandels, da will ich hier aber nicht weiter einsteigen... Mehr zum Vergleich noch mehr verschiedener Emissionsrechner aber noch keine Erklärung der unterschiedlichen Ergebnisse findet sich bei Stiftung Warentest und im Greenpeace-Magazin.
Meistens kommen die Unterschiede dadurch zustande, dass es seriöse und unseriöse Anbieter beim Flugausgleich gibt, der CDM-Gold-Standard trennt die Spreu vom Weizen und soll sicherstellen, dass die Projekte zusätzlichen Nutzen bringen und vernünftig organisiert sind. (Aber was ist das mit diesem "Goldstandard" eigentlich für eine bekloppte Marketingidee? Das klingt doch total nach Prädikatsleberwurst mit Gütesiegel.)
Besonders vertrauenserweckend finde ich das allerdings nicht, wenn schon zwischen zwei seriösen Anbietern aus einem Land so große Unterschiede in der Berechnung der Emissionen zustande kommen. Vielleicht spiegelt das schon die grundsätzliche Problematik des Handels mit CO2-Zertifikaten wider. Zu viele unbekannte, schwer fassbare Größen, viele Akteure, riesiger Aufwand überhaupt Zahlen festzulegen. Und dann das ganze auch noch kontrollieren.
So viele Zweifel - soll ich es dann lieber lassen?
Aber ganz so schnell will ich die Idee auch nicht verwerfen.
Schließlich entscheide ich mich, weder den Verein Atmosfair noch die Agentur Arktik mit meiner Spende zu beglücken... letztendlich ist es mir doch total egal, ob da kilogrammgenau etwas ausgeglichen wird, was eh keiner so genau berechnen kann.
Ich nehme den Betrag, den Atmosfair mir ausgerechnet hat und überweise das Geld an die indonesische Umweltorganisation WALHI, die gegen Landraub und Regenwaldabholzung kämpft und an die Organic Seed Growers and Trade Association (OSGATA), die gerade einen Rechtsstreit gegen die Firma Monsanto führt, um zu erreichen, dass Monsantos Patente auf genetisch verändertes Saatgut aufgehoben werden. (Die Argumentation basiert darauf, dass Patente eigentlich nur für Erfindungen vergeben werden können, die dem Allgemeinwohl dienen).
Trotzdem bleibt die Frage, ob das Prinzip überhaupt sinnvoll ist.
Den Ansatz, es als Aufhänger zu benutzen die Problematik übermäßiger Emissionen bewusst zu machen finde ich ja gut (bei Atmosfair), aber der Rest der Idee mit dem Ausgleich haut nicht hin.
Es ist vielmehr der Versuch, das Problem der Emissionen eben nicht dort anzugehen, wo es entsteht - nämlich hier, bei uns - sondern stattdessen zu versuchen die Lösung auszulagern.
(Angeblich dorthin, wo effizienter Emissionen eingespart werden können... als ob es nicht auch verdammt effizient wäre, einfach ein bisschen weniger zu fliegen)
Das hat etwas total Arrogantes... als ob ich eine absichtlich eine Scheibe einschmeiße, aber um den Stein einen Geldschein wickele, um damit die neue Scheibe zu bezahlen. Es ist vielleicht ein klein bisschen besser, als nur einen Stein zu werfen, aber es ist definitiv keine Lösung des Problems und auch kein Beitrag zu einer Lösung.
Und es ist sogar Teil des Problems, insofern es als Nebelwand dient, hinter der wir uns verbergen und so weitermachen wie bisher und uns dabei trotzdem gut (oder zumindest ein kleines bisschen besser) fühlen.
Kommentar schreiben